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Hamburger Verhältnisse – Monitoring rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Hamburg 2023

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Im Rahmen der Monitoring- und Beratungsarbeit verzeichnet das Betroffenenberatungsprojekt empower im Jahr 2023 erneut eine alarmierende Bilanz von insgesamt 993 neuen rechten, rassistischen und antisemitischen Vorfällen in Hamburg. Das sind im Durchschnitt mehr als 2,7 bekannte Vorfälle pro Tag und stellt eine besorgniserregende Steigerung von mehr als 32 Prozent dar. Diese Vorfälle sind keine Einzelfälle, sie ziehen sich durch die gesamte Stadt, durch alle gesellschaftlichen Schichten und Milieus sowie durch alle Institutionen. Die Veröffentlichung des Monitoringberichts zu rechten, rassistischen und antisemitischen Vorfällen in Hamburg im Jahr 2023 verfolgt das Ziel, die Formen und Auswirkungen der Gewalt sowie die Erfahrungen und Perspektiven von Betroffenen für Communities, Multiplikator_innen, Öffentlichkeit und Politik zugänglich zu machen.

Die quantitative und qualitative Veröffentlichung solcher Gewaltvorfälle in Hamburg stellt das Ergebnis eines längerfristigen Prozesses dar. Die Meldungen von Betroffenen, deren Angehörigen, Freund_innen und Zeug_innen eines Vorfalls sowie das Engagement von Gemeinden, Communities, Netzwerken und Kooperationspartner_innen haben wesentlich dazu beigetragen, Vorfälle von Antisemitismus, Rassismus und rechter Gewalt in Hamburg erheben zu können.

Die durch das Projekt empower erfassten Vorfälle bilden nur einen Ausschnitt der alltäglichen gesamtgesellschaftlich verbreiteten politisch motivierten Gewalt in Hamburg ab. Entsprechend muss auch für das Jahr 2023 von einer anhaltend hohen Dunkelziffer an nicht gemeldeten und nicht erfassten rechten, rassistischen und antisemitischen Vorfällen in Hamburg ausgegangen werden.

 

Bereits in den letzten Jahren vermerkte empower durchgehend eine besorgniserregende Zunahme antisemitischer Vorfälle in Hamburg. Der terroristische Angriff der Hamas am 7.Oktober 2023 war und ist eine Zäsur, die sich weiterhin auswirkt, so dass Jüdinnen_Juden in Hamburg noch massiver von antisemitischen Vorfällen betroffen sind. Diskurse, Bedrohungen und Angriffe verschärfen sich und die Vorfälle prägen das Hamburger Stadtbild sichtbar etwa in Form von antisemitischen Slogans und Versammlungen. Insbesondere israelbezogener Antisemitismus geht von allen gesellschaftlichen und politischen Positionierungen aus und geht dabei häufig mit anderen Formen von Antisemitismus einher (v. a. verschwörungsideologischer und sekundärer). Antisemitische Gewalt führt bei den Betroffenen zu Sicherheitsverlust, Vertrauensbrüchen sowie Rückzug, Isolation und Unsichtbarkeit. Juden_Jüdinnen sehen sich indes Mehrfachbelastungen ausgesetzt. Neben der Sorge um die Sicherheit von Angehörigen und Freund_innen in Israel und den erhöhten Sicherheitsbedarfen aufgrund bestehender globaler und lokaler Bedrohungen wirkt der weiterhin bestehende Terror gegen die israelische Bevölkerung in einer spezifischen Dimension sowie in ihrer symbolischen Botschaft massiv retraumatisierend auf jüdische Menschen auch in Hamburg.

Gleichzeitig lässt sich im Vergleich zum Vorjahr auch ein Anstieg der verschiedenen Formen von rassistischen Vorfällen um fast 35% verzeichnen. Dazu zählen auch Rassismus gegen Roma* und Sinti*, antimuslimischer und Anti-Schwarzer Rassismus sowie antikurdischer, antislawischer und Anti-Asiatischer Rassismus. Die Betroffenen erleben diese Rassismen in verschiedensten Formen und Wirkungen in allen Lebensbereichen und an den unterschiedlichsten Orten in Hamburg.

Die Zahlen der von empower erfassten Vorfälle von Rassismus gegen Roma* und Sinti* in Hamburg sind 2023 angestiegen. Dennoch ist davon auszugehen, dass ein Großteil der rassistischen Vorfälle, die sich explizit gegen Roma* und Sinti* richten, nicht erfasst wird. Ausbleibende Solidarisierungen, sich verstetigende gesellschaftliche Dynamiken fortwährender rassistischer Abwertung und eine damit verbundene Unsichtbarkeit der Lebensrealitäten und Erfahrungen von Roma* und Sinti* in Hamburg führen bei Betroffenen zu wachsenden Unsicherheiten und Misstrauen gegenüber Behörden und anderen nichtcommunitybasierten Netzwerken, Strukturen und Institutionen.

Schwarze Menschen werden in Hamburg an verschiedensten Orten und unabhängig von Alter, Geschlecht und Schichtzugehörigkeit rassistisch beleidigt und angegriffen. Viele Betroffene berichten zudem davon, dass ihre Erfahrungen negiert werden und sie deshalb abwägen würden, ob sie sich überhaupt an Polizei, andere Behörden oder die Öffentlichkeit wenden sollen. Die Beratungsfälle zu Anti-Schwarzem Rassismus verdeutlichen, dass es gesamtgesellschaftlich an Einsicht und Sensibilität sowie an Bereitschaft zu Aufklärung, Intervention und Opferschutz fehlt.

Auch Muslim_innen sind in Hamburg Stigmatisierungen und Abwertungen, sowie Bedrohungen und körperlichen Angriffen ausgesetzt. Antimuslimisch rassistische Aggressionen sind für viele Betroffenen alltäglich und haben sich in einschneidender Weise normalisiert, so dass Betroffene erst Vorfälle melden und Beratungen aufsuchen, wenn bereits mehrere Übergriffe stattgefunden haben und sich zunehmend zuspitzen. Wiederholt nehmen Betroffene auch hier wahr, dass beteiligte Akteur_innen die Berichte und Erfahrungen nicht ernst nehmen, weshalb es zu Vertrauensbrüchen komme.

Mit der Covid-19-Pandemie aktualisierte sich Anti-Asiatischer Rassismus, wie beispielsweise Erzählungen von „Gefahr“, die von Asiat_innen vermeintlich ausginge. Direktbetroffene meldeten bei empower verschiedene Vorfälle für 2023 in Hamburg. Diese ereigneten sich beispielsweise im Nahverkehr, auf offener Straße und im Kontext der medizinischen Versorgung, wie etwa im Wartezimmer von Arztpraxen aber auch direkt von Ärzt_innen ausgehend.

Antikurdischer Rassismus ist in Hamburg seit Jahrzehnten verbreitet und äußert sich wiederkehrend in verschiedenen Übergriffen. So kommt es beispielsweise im Rahmen von Sportereignissen wie Amateurfußballspielen wiederholt zu antikurdischen Angriffen und der Verwendung von extrem rechten ultranationalistischen türkischen Symbolen. Insbesondere betroffene Spieler_innen und Schiedsrichter_innen bemängeln fehlende Schutzkonzepte und Interventionen seitens der Verbände.

Seit den verstärkten Fluchtbewegungen, vor allem aufgrund des Angriffs Russlands auf die Ukraine im Februar 2022, ist in Hamburg auch im Jahr 2023 vermehrt antislawischer Rassismus zu verzeichnen. Besonders in der Nachbarschaft und am eigenen Arbeitsplatz werden die Betroffenen verbal und physisch attackiert. In den Beratungen wurde auch hier deutlich, dass sie sich häufig nicht ernstgenommen fühlen und es an öffentlicher Wahrnehmung und Unterstützung mangelt.

Das Monitoring verdeutlicht zudem, dass sich auch in Hamburg Vorfälle von rechter Gewalt zunehmend ausdifferenzieren und weitere Betroffenengruppen verstärkt in den Fokus von Bedrohungen und Angriffen geraten. Hierzu zählen insbesondere Vorfälle von rechter Gewalt gegen LGBTIQ+-Personen, Journalist_innen, politische Verantwortungsträger_innen und politische Gegner_innen.

Angriffe auf die sexuelle Orientierung und Identität von Betroffenen werden dabei getragen von einem gesellschaftlichen Klima, dass u. a. durch sogenannte „Anti-woke-Bewegungen“ getragen ist, die queere Lebensweisen negieren und stattdessen heteronormative Vorstellungen und homophobe, queerfeindliche Erzählungen etablieren. Betroffene berichten indes von Ängsten davor, bestimmte Orte aufzusuchen und gewisse Räume nur unter hohem Stress betreten zu können.

Journalist_innen waren insbesondere auf und rund um Demonstrationen von körperlichen Angriffen, Nötigungen und Bedrohungen betroffen. Sie berichten teilweise davon sich selbst zu zensieren, da sie aus Sorge um ihre Sicherheit davor zurückschrecken, über bestimmte Themen zu berichten oder bestimmte Orte aufzusuchen.

Politische Verantwortungsträger_innen sehen sich mit einer besorgniserregenden Eskalation von Gewaltvorfällen konfrontiert. Politikverdrossenheit schlägt unterfüttert mit rechten Diskursen teilweise um in politische Verachtung und überträgt sich in Angriffe auf Politiker_innen. Dennoch gibt es bisher verhältnismäßig wenig Parteien, die auf Landes- oder Bezirksebene Konzepte des Opferschutzes erarbeitet und implementiert haben.

Auch politische Gegner_innen, wie beispielsweise Personen und Initiativen, die sich in der Geflüchtetenhilfe oder antifaschistisch engagieren, sollen eingeschüchtert und von der Ausübung ihres politischen Engagements abgebracht werden. Aufgrund verschärfter politischer Debatten auf Bundes- und Landesebene in den letzten Jahren haben sich die Sag- und Machbarkeiten hier spürbar erweitert.

Nicht zuletzt erfasst empower kontinuierlich Fälle von sozialdarwinistisch motivierter Gewalt gegen behinderte Menschen und Wohnungslose. Aufgrund mangelnder Aufmerksamkeit und Anerkennung und damit verbunden den wenigen dokumentierten Fällen erscheinen diese Probleme kleiner, als sie tatsächlich sind. Gleichzeitig wird verkannt, dass verschiedene normative Diskurse Nährboden dafür bieten, dass Wohnungslose und behinderte Menschen weiterhin alltäglich Diskriminierungen und Gewalt ausgesetzt sind. Behinderungen werden beispielsweise häufig als natürliche Tatsachen dargestellt während soziale Kategorisierungen und Deutungen nicht beachtet werden. Zudem sind legitimierende Ideologien auch weit über extrem rechtes Gedankengut hinaus verbreitet, wie z. B. neoliberale oder marktradikale Ansichten, die Menschen im Hinblick auf vermeintliche „Leistungs“bereitschaft und -fähigkeit hierarchisieren.

Das Monitoring zeigt auch verschiedene gefährliche Orte in Hamburg. Dazu gehören vor allem der öffentliche Raum und der ÖPNV sowie der digitale Raum. Aber auch in der direkten Nachbarschaft kam es wiederholt zu Vorfallserien, in denen Betroffene über längere Zeit hinweg regelrecht terrorisiert werden. Schwerpunkte bildeten zudem Demonstrationen sowie Bildungseinrichtungen und der Arbeitsplatz, wo verhältnismäßig hohe Vorfallzahlen erfasst wurden und für viele Betroffene alltägliche akute Bedrohungslagen herrschen. Die Gewaltformen rechter, rassistischer und antisemitischer Vorfälle sind ebenfalls im Monitoring abgebildet. Hohe Vorfallszahlen von Beleidigungen und Bedrohungen lassen auf breite Unterstützung für Täter_innen schließen, welche Ermöglichungsräume und Gelegenheitsstrukturen für schwere Gewaltvorfälle eröffnet.

Schilderungen von Ratsuchenden, Communities und Institutionen in Beratungsprozessen mit empower sowie auf Veranstaltungen des Projekts machen zudem deutlich, dass der Alltag hinter den einzeln erfassten Vorfällen in allen Lebensbereichen durch schier unermessliche rassistische und antisemitische Mikroaggressionen und durch grobe und subtile Gewalt im Ton und im Verhalten geprägt ist. Solche Berichte weisen nicht zuletzt auch auf weitere erfassbare Gewaltvorfälle hin.